Beschluss: Stellungnahme zu den Angriffen auf die verfasste Studierendenschaft
Universitäten sind Orte, an denen die gesellschaftliche Zukunft mitgestaltet wird. Laut Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) haben Sie unter anderem die Aufgabe „zur Verbesserung menschlicher Lebens- und Umweltbedingungen“ beizutragen. Eng verbunden ist dies mit einer weiteren Aufgabe, die „Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates“. Das diese Aufgaben sich nicht allein in der Fortführung bestehender Ordnungsverhältnisse, nicht in der Befolgung eines präsidialen mos maiorum erschöpfen, sollte an der Humboldt-Universität eigentlich selbstverständlich sein. Schon in ihrem Gründungsgedanken ist ihr eingeschrieben, vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen und in einer Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden gemeinsam neue Strukturen zu erschließen und dabei auch kontroverse Wege – und den Streit miteinander - zu wagen. Dazu bedarf es unbedingt einer kritischen und selbstverwalteten Studierendenschaft und dazu bedarf es auch der Räume und Rahmenbedingungen, in denen diese sich entwickeln und entfalten kann.
2018 hat die Humboldt-Universität (HU) dieses Selbstverständnis offenbar verloren. Das Präsidium der HU begegnet der Verfassten Studierendenschaft und ihren Organen, als handle es sich dabei um eine Gefährdung des universitären Lebens und nicht um eines von dessen zentralen Gliedern. Statt miteinander über bessere Studien- und Arbeitsbedingungen zu diskutieren und auch zu streiten, sucht das Präsidium lieber die juristische Auseinandersetzung. Dabei wird übersehen, dass die Universität zwar – selbstverständlich – an geltendes Recht gebunden ist, dass sich ihr Auftrag aber nicht allein ein rechtlichen Verpflichtungen fassen lässt.
Diese rechtlichen Verpflichtungen sind weder in der Lage, Orientierungen für die Gestaltung guter Studienbedingungen zu geben, noch lässt sich damit beschreiben, wie es an der Uni gelingen kann, demokratisches Leben zu pflegen. Für beides steht die Verfasste Studierendenschaft ein. Die Universität mag nicht dazu verpflichtet sein, Studierende z.B. in sozialen Belangen zu beraten oder deren Kinder zu betreuen. Aber sie hat ein grundsätzliches Interesse daran, dass Menschen dabei unterstützt werden, wenn sie sich auf das Wagnis eines Studiums einlassen möchten. Und ganz besonders dann, wenn diese Menschen z.B. keinen klassischen akademischen Hintergrund haben oder sich in einer anderen sozialen Situation befinden als die meisten ihrer Mitstudierenden. Die Hochschule in diesem Sinne zu öffnen, ist übrigens wiederum sogar eine Pflicht der Universität, zu deren Erfüllung die Studierendenschaft selbst in einzigartiger Weise beiträgt, nämlich vom Sozialberatungssystem des RefRats (gesetzl. AStA) bis hin zur alltäglichen Arbeit der Fachschaften. Ohne Studierenden und ohne deren Diversität, die Vielfalt ihrer Perspektiven und ihre unterschiedlichen gesellschaftlichen Verortungen gäbe es keine Universität, die in der Lage wäre, die Gesellschaft mit zu gestalten. Deswegen ist die Universität auf unsere Mitarbeit angewiesen: Sie braucht einen RefRat und ein Studierendenparlament, die im Sinne der Selbstverwaltung nur gegenüber den Angehörigen der Universität zur Rechenschaft verpflichtet sind. Allein diese Unabhängigkeit ermöglicht den kritischen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse, für den die Universität stehen sollte. Sie braucht aber auch Fachschaften, die die studentischen Perspektiven in die Institute und Fakultäten tragen. Dafür ist es in keinster Weise relevant, ob es sich dabei um –räte oder –initiativen handelt, sondern wichtig ist eine arbeitsfähige Organisationsform, die Partizipationsformen gemäß der Lebensrealität von Studierenden ermöglicht. Fachschaftsinitiativen bieten diese Möglichkeit und sind daher für eine hochschulpolitische Beteiligung möglichst vieler Studierender unerlässlich.
Die Organe der Verfassten Studierendenschaft, von der Fachschaftsinitiative bis hin zu StuPa und RefRat, bieten Räume, um die Bedingungen des Miteinander Studierens, Arbeitens und Lebens an der Universität zu diskutieren, um in der Analyse von Sachverhalten und Gegebenheiten sowie in Auseinandersetzung mit Anderen eine eigene Haltung zu finden, diese zu verargumentieren, zu verteidigen und Kompromisse zu finden. Die Mitarbeit in der Verfassten Studierendenschaft schult die politische Urteilskraft und die Streitkultur – gerade jene Qualitäten also, die die Hochschulleitung aktuell vermissen lässt. Ihre rechtliche Verpflichtung gegenüber der Demokratie kann die Humboldt-Universität so jedenfalls nicht erfüllen.